Gezielte Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsbeeinflussung
Zaubern und Hypnose nutzen genau jene oben beschriebenen Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, um in der Zauberei den Zuschauer zu täuschen oder wie bei der Hypnose unbewusste, abgeschlossene Lernprozesse aufzulösen, neue Lernprozesse unter Umgehung von Widerstand (Kognitive Dissonanz, Reaktanz) in Gang zu setzen oder somatische Beschwerden (z.B. Lösen von Muskelverspannungen) zu beeinflussen.
Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsbeeinflussung beim Zaubern
Alt[1] sieht die Wirkung der Zauberkunst in dem Umstand, dass das Publikum die Illusion selbst herstellt. Die Zuschauer bieten über die Leistungsbeschränkungen ihrer Wahrnehmungsorgane die Voraussetzung, Täuschungshandlungen nicht zu erkennen. Da die Zuschauer, aufgrund ihrer Erfahrungen hypothesengeleitet wahrnehmen und fehlende Informationen hypothetisch ersetzen, lässt sich dieser Umstand für Täuschungen verschiedenster Art nutzen:
Zum Beispiel sehen sie eine Hälfte einer Spielkarte, aus einem Buch ragen, und nehmen selbstverständlich an, dass die andere Spielkartenhälfte im gleichen Druck, locker im Buch liegt. Es wird bei einer solchen Beobachtung nicht in Erwägung gezogen, dass diese Annahme falsch sein könnte, die Spielkarte im Buch klebt und/oder die unsichtbare Hälfte gar nicht oder anders bedruckt sein könnte.
Während einer Zaubervorstellung entwickeln die Zuschauer immer wieder neue Hypothesen, über das was sie sehen. Der Zauberer unterstützt diesen Prozess, indem er die Hypothesenbildung durch gezielte Steuerung beeinflusst. „Die Zauberkunst ist vor allem ein Spiel mit den Erwartungen bzw. den Hypothesen der Zuschauer“[2]
Die Faszination einer Zaubervorstellung wird durch die Spannung zwischen der augenblicklichen Erfahrung und dem bewährten Weltbild hergestellt.
Aus dem Umstand, dass das Weltbild und der Erfahrungsumfang von Kindern noch nicht in einem solchen Ausmaß, wie bei Erwachsenen festgefügt ist, erklären sich auch die Besonderheiten einer Zaubervorstellung vor einem kindlichen oder jugendlichen Publikum: Kinder gelten als besonders kritische Zuschauer einer Zaubervorstellung. Erfahrene Zauberer sind in der Lage, die überaus neugierige und „kritische“ Haltung geschickt zu nutzen, um auch vor einem kindlichen Publikum erfolgreich zu sein.
Eine wissenschaftliche „Wahrnehmungstäuschung“ wäre es, würde man aus dem Umstand der schwereren Täuschungsbedingungen bei Kindern schließen, dass diese „klüger“ als die Erwachsenen seien: Kinder sind, aufgrund ihrer geringeren Wahrnehmungs- und Lebenserfahrungen, auch weniger an festgefügte Wahrnehmungs- und Denkhypothesen, physikalische Gesetzmäßigkeiten etc., gebunden. Da die Zauberei aber gerade jene erlernten Gesetzmäßigkeiten für ihre Täuschungshandlungen nutzt, lassen sich Kinder – dank ihrer weniger verfügbaren Hypothesen – auch weniger täuschen.
”Misdirection” als Prinzip des Zauberns
Ein wichtiges Prinzip des Zauberns ist die sogenannte „misdirection“. Joe Bruno[3]erklärt den Vorgang der Misdirection mit „Die Aufmerksamkeit der Zuschauer lenken.“. Dabei erfolge die Lenkung genau überlegt und geplant. Nach Bruno gibt es hierbei drei verschiedene Formen, die Aufmerksamkeit zu lenken:
- 1. durch Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration
- 2. durch das „Halten“ der augenblicklichen Aufmerksamkeit
- 3. durch „Entspannen“ der Aufmerksamkeit
Im Falle der Störung, soll die Aufmerksamkeit des Zuschauers aufgeteilt werden, indem z.B. zwei oder drei Dinge auf einmal geschehen. Der Zuschauer kann sich also nicht mehr auf ein Ereignis konzentrieren. Wenn sich der Zuschauer bewusst ist, dass mehrere Dinge gleichzeitig geschehen, entsteht eine Art „Gedankenverwirrung“, welche zur Aufteilung der Aufmerksamkeit führt. Die Aufmerksamkeit kann damit vom Hauptgeschehen, d.h. dem Trickvorgang, abgelenkt werden.
Unter „Aufmerksamkeit halten“, versteht Bruno die Konzentration auf eine einzige Handlung, die sog. „Finte“ . Die Finte kann eine aufmerksamkeitsbindende interessante, amüsante Handlung oder Geschichte sein, welche genutzt wird um das eigentliche Täuschungsmanöver zu verdecken.
Eine „Entspannung“ der Aufmerksamkeit findet nach Bruno statt, wenn der Zuschauer glaubt, dass die eigentliche Handlung beendet sei. Da er nichts mehr erwartet, bemerkt er weitere Geschehnisse nicht.
Oder: Wenn der Zuschauer zu wissen glaubt, was als Nächstes geschehen müsse, führt diese Erwartung (vgl. präattentive Aufmerksamkeit) ebenfalls zu einer Ablenkung vom eigentlichen Geschehen.
Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsbeeinflussung in der Hypnose
Nach Schulze[4] wird bei der Einleitung einer Hypnose die Aufmerksamkeit von äußeren Reizen weg, auf das innere Erleben gelenkt. Dabei kommt es zu einer körperlichen Entspannung, welche mit einer Beruhigung der inneren Rhythmen, wie Atmung und Pulsschlag, verbunden ist. Auf individuell unterschiedliche Weise ist es dabei möglich, innerhalb der Konzentration auf das eigene Erleben, alternative Wirklichkeiten zu schaffen.
Nach Sarnoch[5] tragen hypnotische Zustände zu einer Reduktion kontrollierender, strategischer Verarbeitungsprozesse bei.
In der sogenannten Alltagstrance (z.B. Tagträumerei) findet quasi eine „Selbsthypnose“ mit den oben beschriebenen Wirkungen (Fokussierung auf das innere Erleben), statt.
Zusammenfassung und pädagogische Implikationen
Die in der Rubrik “Aufmerksamkeit” besprochenen entwicklungspsychophysiologischen Befunde lassen einige pädagogische Implikationen zu. So muss im Grundschulalter berücksichtigt werden, dass aufgrund der stärkeren Orientierungsreaktionen, der andersartigen kognitiven Verarbeitung Orientierungshilfen eine Unterstützung für eine gezieltere bzw. strukturiertere Informationsaufnahme sein können. Des weiteren sind die Latenzzeitverkürzungen ein Hinweis, dass die kognitiven Voraussetzungen an das Alter gekoppelt sind. Grundschüler in der Schuleingangsphase haben viel Lehrstoff mit erst langsam anwachsenenden Gedächtniskapazitäten zu bewältigen.
Wenn hier vorsichtig Schlussfolgerungen für die Unterrichtsmethodik gezogen werden, so müssen die zu vermittelnden Inhalte stärker strukturiert, überschaubar und in vereinfachter Form dargeboten werden. Die Aufmerksamkeit sollte ebenfalls von außen gesteuert werden, um die Orientierungsreaktion zu steuern und zu beschleunigen.
Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Scholastik-Studie von Weinert et. al.[6] stehen hiermit in Einklang.
Kontraindiziert wäre nach diesen Ergebnissen eine Komplexitätserhöhung der Anforderungen wie sie in offenen Unterrichtsformen in der Grundschule der Fall sind:
- zusätzliche Zielerreichungs- und Planungsprozesse
- hohes Reizangebot (z.B. über Materialauswahl)
- Geräuschkulisse aufgrund von Teilaktivitäten einzelner Schüler
- Aufgabenbearbeitung, Suche nach Lösungswegen und Aufgabenstrukturierung als alleinige Aufgabe des Schülers
- Ablenkungsmöglichkeiten durch Angebots- , Aufgabenvielfalt (Auswahlproblem) und unterschiedliche Aktivitäten der Mitschüler
Die Komplexitätserhöhung würde einerseits zu einer Bearbeitungszeitverlängerung, sowie zu einer Verstärkung der im Grundschulalter bestehenden stärkeren Orientierungsreaktion führen, mit dem Ergebnis, dass langsamer und weniger gelernt wird.
- [1] Alt, Jürgen August (1995), Zauberkunst – Eine Einführung, Reclam Verlag, Stuttgart
- [2] Alt, Jürgen August (1995), Zitat Seite 88
- [3] Bruno, Joe (1994); Handbuch der Misdirection, Edition Greb
- [4] Schulze, Dr. Walter: Allgemeine Erklärungen zur Hypnose URL: http://www.hypnose.de 01/2002
- [5] Sarnoch, Harald (1998): Kognitive Effekte hypo- und hyperalgetischer Suggestionen im Stroop-Test, in: Peter, Burkhard; Kraiker, Christoph, Hypnose und Kognition, Band 15, April 1998, Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose e.V.
- [6] Weinert, Franz. E.(Hrsg.), 1997, Beltz, Psychologie Verl.-Union , Weinheim
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